100 Stolpersteine in Gotha: Verlegung von fünf weiteren Stolpersteinen
Verlegung von fünf weiteren Stolpersteinen in der Schlossergasse 1 und in der Friedrichstraße 19
Seit 1992 verlegt der Künstler Gunter Demnig sogenannte „Stolpersteine“. Mit mittlerweile deutlich über 100.000 Steinen in 32 Ländern Europas handelt es sich dabei um das „größte dezentrale Mahnmal der Welt“. Dabei wird am letzten selbstgewählten Wohnort verfolgter und ermordeter Opfer des Nationalsozialismus ein Betonwürfel mit einer Messingtafel in das Pflaster eingelassen, auf der die Namen und Lebensdaten von Hand eingeschlagen sind. Auf diese Weise wird am Ausgangspunkt von Vertreibung und Vernichtung an die Opfer erinnert. Sie werden zudem durch eine symbolische Verbeugung beim Lesen des Namens auf der Tafel geehrt. In Gotha werden seit 2006 beinahe jedes Jahr Stolpersteine verlegt, um im Stadtbild sichtbare Zeichen gegen das Vergessen zu setzen.
Am heutigen Vormittag wurden vor der Schlossergasse 1 und der Friedrichstraße 19 fünf weitere Stolpersteine – die Nummern 96 bis 100 – verlegt. Sie erinnern an Benjamin Frei sowie an vier Angehörige der Familie Simson:
Schlossergasse 1:
Benjamin („Bernhard“) Frei (geb. 1908): Sohn des Hausierers Nathan Frei (verst. 1914 in Gotha). Der Kaufmann wurde 1937 verhaftet und zu zwei Jahren Zuchthaus wegen Verstoßes gegen die Nürnberger Rassegesetze verurteilt. Nach der Entlassung erfolgte 1939 die Ausweisung aus dem Reichsgebiet. Sein weiteres Schicksal ist unbekannt.
Friedrichstraße 19:
Margarete („Grete“) Ruppel, geb. Simson (geb. 1890): Tochter des Kaufmanns und Besitzers einer Porzellanfabrik Julius Simson (gest. 1938) und seiner Ehefrau Clara, geb. Oestreicher (gest. 1936). Heiratete den Augenarzt Dr. Richard Ruppel (verst. 1931) und bekam mit ihm die Söhne Joachim („Jack“) und Kurt („Kenneth“). Zog 1935 in ihr Elternhaus in der Friedrichstraße 19 zurück. Floh 1939 von dort über England in die USA.
Curt Simson (geb. 1892): Sohn des Kaufmanns und Besitzers einer Porzellanfabrik Julius Simson und seiner Ehefrau Clara, geb. Oestreicher. Der Chemiker und Fabrikant heiratete 1924 die aus Frankenthal stammende Klara Mann und bekam mit ihr 1929 die Tochter Anneliese. Zog 1935 mit seiner Familie unfreiwillig nach Berlin und flüchtete von dort in die USA, wo er 1978 in New York verstarb.
Klara Simson, geb. Mann (geb. 1900): Tochter des Bankiers Otto Mann (verst. 1936) und Nichte der Münchner Landgerichtsratswitwe Emma Eismann geb. Mann, die 1943 in Theresienstadt umkam. Starb 1978 – zwei Tage vor ihrem Ehemann – in New York.
Anneliese Simson, verh. Friedländer (geb. 1929): Tochter von Curt und Klara Simson (geb. 1929 in München). Heiratete 1952 den aus Wien stammenden Eduard Friedländer (1923-1995) und starb 1986 in New York.
Die Stolpersteine erinnern nicht nur unerwartet beim Stadtspaziergang an das schreckliche Schicksal der Verfolgten, deren gesamte Familienbiographien dadurch zerstört oder völlig umgeschrieben wurden. In manchen Fällen können sie auch Brücken bauen und Versöhnung fördern. So besuchten im Sommer und Herbst 2024 ein Enkel von Margarete Ruppel aus den USA und eine Enkelin von Margaretes Schwester Gertrud Hess aus Großbritannien erstmalig die Geburtsstadt ihrer Großmütter. Von der in Gotha gepflegten aktiven Erinnerung an das einst so vielfältige jüdische Leben beeindruckt, waren sie es, die die Verlegung der Stolpersteine für ihre Vorfahren wünschten und ideell wie finanziell förderten. In diesem Sinne sollen die nunmehr 100 Stolpersteine in Gotha Zeichen von Mahnung und Erinnerung, aber auch für Völkerverständigung sein.