Nachrichten

Der DNA des Papiers auf der Spur

Friedenstein Stiftung Gotha, Foto: Philipp Hort

Mitarbeiter des „Cranach Digital Archive“-Projekts zu Gast im Kupferstichkabinett

Im Kupferstichkabinett auf dem Friedenstein haben Mitarbeiter des „Cranach Digital Archive“-Projekts (cda) in der vergangenen Woche über 200 Druckgraphiken aus der Gothaer Sammlung technisch untersucht. Ihr Ziel ist es, die Werke Cranachs d. Ä., seiner Söhne und der Werkstatt systematisch digital zu erschließen, wissenschaftlich zu untersuchen und für Wissenschaft und breite Öffentlichkeit langfristig frei zugänglich zu machen. 

Das Kupferstichkabinett ist abgedunkelt. Nur das hellweiße Licht der modernen Fotoapparatur in der Mitte des Raumes erhellt die umstehenden Schränke. Auf der Leuchtfläche liegt ein Holzschnitt, der die Inventarnummer G43,31 trägt: Jakobus Minor in Ganzfigur, ein früher Abzug aus der Apostelfolge. Thomas Klinke beugt sich mit einer kleinen Lupe über das Blatt. Der Kunsttechnologe und Restaurator für Handzeichnung und Druckgraphik nimmt ein Wasserzeichen in den Blick – ein Merkmal, das auf Graphiken immer wieder auftaucht und einen Schluss auf den Entstehungsort des Papiers zulässt. So auch in diesem Fall: ein Bär. Das Papier stammt aus Bern. 

Gemeinsam mit seinem Kollegen, dem Kunsthistoriker und wissenschaftlichen Koordinator des cda-Projekts Daniel Görres untersucht Klinke bis 2026 insgesamt etwa 300 Zeichnungen und weit über 600 druckgraphische Werke, die sich bei weiteren Kooperationspartnern in Dresden, Berlin, Basel, Leipzig, Frankfurt, Paris oder Oxford befinden. Die beiden leisten Detektivarbeit. Ihre Untersuchungen gehen über die reine Betrachtung des Motivs hinaus, sie gehen noch eine Schicht tiefer: Görres und Klinke sind der DNA des Papiers auf der Spur. 

Ziel ist es, die Graphiken besser datieren und Künstlern, Werkstätten oder Druckern zuschreiben zu können. Mittels moderner Analyse-Methoden können sie den Abnutzungsgrad des Druckstocks bestimmen und so die Holzschnitte verschiedenen Auflagen zuordnen. Görres und Klinke vermessen Kett- und Ripplinien der Blätter, sie untersuchen die Güte der Drucke und analysieren, mit welcher Seite das Blatt auf dem Sieb auflag. Wie wurde der Pinsel einer Kolorierung geführt? War er dick oder dünn? Wurde eine Schablone verwendet? Sind Schöpffehler vorhanden? Wann wurden die Druckgraphiken koloriert? Schon zu Lebzeiten der Künstler oder vielleicht auch erst Jahre später? 

„Der Friedenstein ist eine wichtige Anlaufstelle für uns. Der Bestand der Gothaer Sammlung ist reich und es gibt möglicherweise den direkten Draht zu Johann Friedrich dem Großmütigen, der Werke direkt aus der Cranach-Werkstatt bezogen hat“, sagt Daniel Görres. Auch die Kustodin des Kupferstichkabinetts Ulrike Eydinger freut sich über den Besuch der Kollegen vom Cranach Digital Archive: „Wir erfahren durch die technischen Untersuchungen mehr über unsere Sammlung. Vielleicht lässt sich auf diese Weise so manche Legende aufklären.“ 

Ursprünglich waren für die Untersuchungen eine komplette Woche im Kupferstichkabinett angesetzt. Dass das cda-Team viel schneller als erwartet ist, liegt an den bereits vorliegenden, hochwertigen Digitalisaten der Graphiken, die im Rahmen des Projekts „Gotha transdigital“ erstellt wurden. Seit Mai 2023 werden große Teile der graphischen Sammlungen der Friedenstein Stiftung Gotha im Rahmen des Projekts hochauflösend digitalisiert. Von ihnen profitiert die Wissenschaft jetzt: „Sehr gute Auflichtaufnahmen waren bereits vorhanden. Wir konzentrieren uns jetzt auf die Durchlichtaufnahmen, um Wasserzeichen und Papierstrukturen zu dokumentieren“, sagt Thomas Klinke und vergrößert die Graphik von Jakobus Minor auf seinem Bildschirm.

Das Blatt trägt Spuren von Menschen, deren Wissen und Tun heute in Vergessenheit geraten ist. Sie gehörten Berufsgruppen an, die lange verschwunden sind: Reißer, Formschneider oder Schöpfgesellen – von deren Schulterbreite es übrigens abhing, wie groß das hergestellte Blatt war. Wer Daniel Görres und Thomas Klinke bei der Arbeit zusieht, dem erschließt sich eine völlig neue Welt, in der Begriffe weit abseits der Alltagssprache verwendet werden, Begriffe, die Phänomene so präzise beschreiben, dass der Zuhörer die Welt des Papiers lesen und erkennen lernt. 

Weitere Informationen im Überblick: 

Das Gothaer Graphikbestand und seine Digitalisierung: 

Die Friedenstein Stiftung Gotha besitzt mit ihrem Kupferstichkabinett, der Graphischen Sammlung des Historischen Museums, den graphischen Beständen der Sammlung der Moderne sowie dem Bereich Ostasiatica einen umfangreichen Bestand an Bildwerken auf Papier, Pergament und Textilien, die in das 15. bis 21. Jahrhundert datieren. Mehrheitlich sind die ca. 49.000 Objekte mittels druckgraphischer Verfahren hergestellt worden. Es handelt sich also um Holzschnitte, Kupferstiche, Radierungen, Lithographien sowie um mit modernen mechanischen und fotomechanischen Verfahren hergestellte Graphiken. Handzeichnungen, Aquarelle, aber auch Collagen und Skizzenbücher ebenso wie Druckplatten machen weitere Teile der Sammlung aus. 

Die inhaltlichen Schwerpunkte der vermutlich schon am sächsisch-ernestinischen Hof in Wittenberg begonnenen herzoglichen Kollektion, die Ernst der Fromme als Teil seiner Erbmasse aus Weimar mitbrachte und in Gotha erweiterte, liegen in der altdeutschen Graphik (Dürer, Cranach, Beham, Amman, Hopfer), in der Flugblattthematik des 16. und 17. Jahrhunderts, in der regionalspezifischen Graphik, der sog. Gothana, sowie in einer ansehnlichen Porträtsammlung überwiegend bedeutender Potentaten. Die Kunst des 20. Jahrhunderts zeichnet sich in erster Linie durch Arbeiten von Künstlern aus Thüringen und der DDR aus.

Seit Mai 2023 werden große Teile der graphischen Sammlungen der Friedenstein Stiftung Gotha im Rahmen des Projekts „Gotha transdigital“ hochauflösend digitalisiert. Dieses wird aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) und Mitteln aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung der Thüringer Staatskanzlei gefördert.

Das Projekt Cranach Digital Archive:

Bereits 2009 ging das internationale und interdisziplinäre Forschungsverbundprojekt Cranach Digital Archive (cda) an den Start. Ziel ist es, die Werke Cranachs d. Ä., seiner Söhne und der Werkstatt systematisch digital zu erschließen, wissenschaftlich zu untersuchen und auf der international vernetzten Forschungsplattform cda für die Wissenschaft und die breite Öffentlichkeit langfristig frei zugänglich zu machen. 

Im März 2023 begann für das Cranach Digital Archive eine neue Projektphase, die sich der Erforschung der Zeichnungen und Druckgraphiken widmet. Diese sollen in ihren verschiedenen Druckzuständen und Ausgaben erstmals mit Hilfe eines interdisziplinären Ansatzes, der die Felder Kunstgeschichte, Kunsttechnologie, Konservierungswissenschaft und Informatik vereint, wissenschaftlich untersucht und systematisch erschlossen werden. 

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Ernst von Siemens Kunststiftung fördern die interdisziplinäre Erforschung und wissenschaftlichen Erschließung des graphischen Werkes. Beteiligt sind neben der Friedenstein Stiftung Gotha das Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, das Deutsche Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg, das Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und weitere Sammlungen. 

Weitere Informationen zum Cranach Digital Archive finden Sie hier: https://lucascranach.org/index.php/das-projekt 

Anzeige

Anzeige

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Mit der Nutzung dieses Formulars erteile ich meine Zustimmung das meine Daten ausschließlich zum Zweck der Beantwortung Ihres Anliegens bzw. für die Kontaktaufnahme und die damit verbundene technische Administration gespeichert und verwendet werden. Rechtsgrundlage für die Verarbeitung dieser Daten ist unser berechtigtes Interesse an der Beantwortung Ihres Anliegens gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO. Zielt Ihre Kontaktierung auf den Abschluss eines Vertrages ab, so ist zusätzliche Rechtsgrundlage für die Verarbeitung Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO. Ihre Daten werden nach abschließender Bearbeitung Ihrer Anfrage gelöscht. Dies ist der Fall, wenn sich aus den Umständen entnehmen lässt, dass der betroffene Sachverhalt abschließend geklärt ist und sofern keine gesetzlichen Aufbewahrungspflichten entgegenstehen.