Auf ein Wort: März 2020
Wie fühlt es sich wohl an, wenn den ganzen Tag ausgezehrte Menschen mit einem Handwagen voll Habseligkeiten durch die Straßen ziehen, wenn Bomben fallen und Menschen schreien, wenn Schüsse durch die Nacht peitschen und Sirenen heulen? Keine Schilderung aus Syrien im Jahr 2020, sondern vom 3. April 1945 in Gotha. Es gibt immer weniger Leute, die sich bewusst an die Tage der Befreiung vom Faschismus erinnern können, umso wichtiger ist es, dass wir eine Erinnerungskultur bewahren, die uns nie vergessen lässt. Es waren keine Gothaer, die im April 1945 den Mut besaßen, dem Morden des Krieges ein Ende zu setzen. Obwohl jede Familie der Stadt menschliches Leid beklagte, war blinder Fanatismus an der Tagesordnung. Während weiße Fahnen am Schloss Friedenstein den amerikanischen Soldaten die kampflose Übergabe Gothas signalisierten, fuhr ein Ausländer den Siegermächten entgegen, um sich für Gotha zu ergeben. Doch die weißen Fahnen wurden heruntergerissen, was dazu führte, dass ein weiterer Sprengsatz das Landestheater traf und vernichtete. Der Österreicher, der niederschrieb „Truppen setzen sich in Linie Erfurt-Arnstadt ab. Gotha wird nicht verteidigt“, wurde für diese Worte zum Tode verurteilt. Seine Witwe klagte Jahre später an: „Ein Mann kann eine ganze Stadt erretten, aber eine Stadt nicht einer Familie helfen!“ Seit 1995 hat Gotha seine Geschichte aufgearbeitet, haben HistorikerInnen wie Dr. Helga Raschke ganzen Generationen Gadollas Tat vertraut gemacht, haben Juristen wie Enrico Brissa seine Rehabilitation erreicht, haben Musiker wie Hans Trummer in Graz dafür gesorgt, dass Josef Ritter von Gadollas Lebenswerk unvergessen bleiben kann und mutige Demokraten sprachen ihm posthum das Gothaer Ehrenbürgerrecht zu. Nie zu vergessen, bedeutet, die Augen für die Zukunft zu öffnen. Am 75. Jahrestag der Befreiung Gothas von der nationalsozialistischen Diktatur gedenken wir aller Menschen, die ihr Leben für Frieden und Freiheit
einsetzten und lassen zu Ihren Ehren die Glocken der Gothaer Kirchen läuten.
Friede ernähret, sagt Ihnen
Ihr
Knut Kreuch