Die fünf Gemälde aus dem „Gothaer Kunstraub“ von 1979 kehren zurück in die Sammlung der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

40 Jahre nach ihrem Diebstahl wurden heute fünf bedeutende Gemälde aus den Sammlungen des Gothaer Schlosses Friedenstein der Öffentlichkeit vorgestellt. Diese waren in der Nacht zum 14. Dezember 1979 aus den Sammlungen des Gothaer Schlosses Friedenstein gestohlen worden. Die Werke galten seitdem als verschollen und wurden in internationalen Verlustkatalogen und Fahndungslisten geführt. Trotz umfangreicher Untersuchungen konnte dieser „größte Kunstraub in der Geschichte der DDR“ nie aufgeklärt werden.
Am 6. Dezember 2019 gab die Stiftung Schloss Friedenstein bekannt, dass die Bilder nach 40 Jahren möglicherweise wieder aufgetaucht seien (vgl. Pressemitteilung 109-19). Über einen Anwalt waren im Juli 2018 anonyme Personen an den damaligen Stiftungsratsvorsitzenden und Oberbürgermeister von Gotha, Knut Kreuch, herangetreten, um die fünf Gemälde zum Kauf anzubieten. Unter größter Diskretion führte dieser seitdem mit finanzieller und fachlicher Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung Verhandlungen zur Rückführung der Kunstschätze. Ende September 2019 kam es im Rathgen-Forschungslabor der Staatlichen Museen in Berlin unter verdeckter Beteiligung des Landeskriminalamtes Berlin zur Übergabe der Gemälde mit dem Ziel, ihre Authentizität zu prüfen. Diese auf drei Monate angesetzten Unter-suchungen, in die auch wissenschaftliche Fachgutachter eingebunden waren, sind nun abgeschlossen, und die Verhandlungen haben eine positive Einigung herbeige-führt. Die Ergebnisse und die fünf Gemälde werden heute auf einer Pressekonferenz im Berliner Magnus-Haus, Sitz der Ernst von Siemens Kunststiftung, vorgestellt. Eine weitere Pressekonferenz und Präsentation der Bilder wird am 20. Januar um 11.30 Uhr in der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha folgen.

Fazit
Die wissenschaftlichen Untersuchungen konnten die Authentizität der fünf gestohlenen Gemälde zweifelsfrei bestätigen. Die Bilder befinden sich in einem relativ guten Zustand und wurden durch deutliche, „fälschungssichere“ Merkmale wie ihr röntgenographisch erfasster Innenzustand, das Krakelee (Rissnetz) der Malschichten oder nachweisbare Restaurierungseingriffe der Vergangenheit als die Originale, die 1979 in Gotha gestohlen wurden, identifiziert. Auch die Gemälderückseiten belegen Spuren ihrer Geschichte wie alte Inventarnummern, teilweise in kyrillischer Schrift, aus der Zeit ihrer Verbringung nach Russland (1945–1958) und Spuren der nach dem Diebstahl entfernten Etiketten des Schlossmuseums.

Kunsthistorische Analysen legen zudem eine neue Zuschreibung (Frans Hals) und zwei Abschreibungen (Jan Brueghel der Ältere und Jan Lievens) nahe. Die Untersuchungsergebnisse werden in den Anlagen 1 und 2 zusammenfassend vorgestellt. Nachdem die Bilder 40 Jahre lang der Forschung entzogen waren, wird damit gleichzeitig eine wissenschaftliche Debatte eröffnet, die in naher Zukunft weitere Ergebnisse erwarten lässt. Die fünf Bilder werden in die Stiftung Schloss Friedenstein in Gotha überführt, dort im Herzoglichen Museum ab Montag, 20. Januar, 14 Uhr bis zum Sonntag, 26. Januar 2020 ausgestellt und anschließend restauriert. Für 2021 ist eine umfassende Ausstellung geplant, die auch die Hintergründe des Diebstahls und – soweit aufgeklärt – den zwischenzeitlichen Verbleib der Gemälde thematisieren soll.

Mit den Anbietern der fünf Gemälde schloss die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha mit anwaltlicher Vertretung durch Dr. Friederike Gräfin von Brühl eine schriftliche Ver-einbarung. Darin wird das Eigentum der Stiftung Schloss Friedenstein an den Bildern anerkannt. Für die Rückgabe der fünf Gemälde wird kein Geld gezahlt. Die Ernst von Siemens Kunststiftung übernimmt jedoch Kosten für die anwaltliche Beratung und die Logistik im Rahmen der Abwicklung. Die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha ist nicht an einer strafrechtlichen Verfolgung der zwischenzeitlichen Besitzer interessiert, zumal diese weder unmittelbar noch mittelbar am seinerzeitigen Diebstahl beteiligt waren. Für den Verhandlungsführer OB Knut Kreuch stand stets eine gütliche Einigung im Vordergrund.

Die medial vermittelten enormen Wertangaben für die fünf Gemälde lassen sich nicht bestätigen. Ihr heutiger Versicherungswert liegt bei ca. 4 Millionen Euro. Der ideelle Wert der Bilder ist für Gotha jedoch unschätzbar, handelt es sich doch um Werke aus der einstigen fürstlichen Sammlung, die untrennbar mit der Geschichte der Stadt und des Landes Thüringen verbunden sind.
Die unabhängig von den Verhandlungen getätigten Ermittlungen des Landeskriminalamtes Berlin dauern weiterhin an. Über diese laufenden Ermittlungen können keine Auskünfte erteilt werden.

Chronologie der Ereignisse

Im Juli 2018 traten anwaltlich vertretene Personen an den damaligen Vorstand der Stiftung Schloss Friedenstein OB Knut Kreuch heran. Sie behaupteten, im Besitz der Bilder zu sein, und versuchten, auf Grundlage einer zuvor erfolgten anwaltlichen Be-ratung einen hohen Millionenbetrag für deren Rückgabe auszuhandeln. OB Kreuch zeigte Interesse, hielt Kontakt und versicherte sich der Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung. Gemeinsam mit deren Generalsekretär Dr. Martin Hoernes arbeitete er an einer Rückführung der Bilder. Oberste Priorität hatte dabei die Wie-dereingliederung der wertvollen Gemälde in die Gothaer Sammlung. Zu diesem Zweck stellte die Ernst von Siemens Kunststiftung Mittel in Aussicht, die auch die Kosten für anwaltliche Beratung und Logistik beinhalteten, um Vertraulichkeit und eine zügige Abwicklung zu gewährleisten.

Die juristische Beratung übernahm die renommierte Rechtsanwältin Dr. Friederike Gräfin von Brühl von der Kanzlei K&L Gates, die die Position der Stiftung Schloss Friedenstein formulierte: Die Stiftung hat nie das Eigentum an den Gemälden verlo-ren, diese hatten als Diebesgut im offiziellen Kunstmarkt keinen Marktwert, und die von den zwischenzeitlichen Besitzern geschilderten Umstände ließen weder einen gutgläubigen Erwerb noch eine Ersitzung in Betracht kommen.
Die zwischenzeitlichen Besitzer warteten mit einer abenteuerlichen und mittlerweile größtenteils widerlegten Erwerbsgeschichte zur Herkunft der Gemälde auf, wobei sie sich auf Schilderungen der verstorbenen Eltern bezogen: In Westdeutschland ansässig, hätten die Eltern eine Art Lösegeld in Höhe von einer Million D-Mark für die Ausreise einer in der DDR lebenden, befreundeten Familie gezahlt und als Pfand von nicht näher bestimmten Vertretern der Stasi die gestohlenen Gemälde erhalten. Der nicht verhandelbare Verkaufspreis, den die Besitzer der Gemälde gegenüber OB Kreuch nannten, sollte ein Mehrfaches dieser Summe betragen.

Die gemeinsame Strategie von OB Kreuch, Dr. Hoernes und Dr. von Brühl war es, zunächst die Bilder zu sichern, auf die freiwillige Herausgabe zu setzen und darauf zu bestehen, dass erst die Echtheit geprüft werden müsste. Nur so ließ sich das umstrittene deutsche Verjährungsrecht umgehen, dem die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha im Falle eines Rechtsstreits – trotz ihrer Eigentümerstellung – ausgesetzt gewesen wäre.

Vor der Übergabe der Gemälde, die im Berliner Rathgen-Forschungslabor erfolgen sollte, wurde durch dieses das Berliner Landeskriminalamt hinzugezogen, das die Übergabe und die folgenden Verhandlungen begleitete, da bis dahin die zwischenzeitlichen Besitzer unbekannt geblieben waren. Durch die Übergabe kamen die Gemälde wieder in den Besitz der rechtmäßigen Eigentümer, womit die Verhandlungsposition von Gotha gestärkt wurde.

Bundesweite Durchsuchungen des Landeskriminalamts Berlin Anfang Dezember 2019 brachten wieder Bewegung in die Angelegenheit. Die gelegte „Stasi-Spur“ erwies sich als Legende, das Diebesgut war erst in den 1980er Jahren durch einen privaten Transport in den Westen gelangt.
Nach einem Anwaltswechsel haben die zwischenzeitlichen Besitzer die Gemälde nun bedingungslos der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha überlassen und vorbehaltlos kooperiert. Die letztendlich möglich gewordene einvernehmliche Einigung sendet ein wichtiges Signal an die Besitzer von ursprünglich gestohlenem Kulturgut: Es finden sich immer Möglichkeiten, derartige Werke an ihren Herkunftsort zurückzubringen,auch Möglichkeiten für eine Vergleichszahlung, wenn professionell und realistisch verhandelt wird.

Die Begutachtung der Werke erfolgte durch drei externe Kunsthistoriker und das Rathgen-Forschungslabor der Staatlichen Museen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Wie bei fürstlichen Sammlungen üblich, sind einige der Bilder Werkstattarbeiten oder gar Kopien nach einem berühmten Vorbild („Selbstbildnis“ van Dyck). Die neuen kunsthistorischen Erkenntnisse sind in die Texte der Anlage 1 eingearbeitet. Im Rathgen-Forschungslabor konnten die Gemälde auf der Basis von histori-schen Vergleichsuntersuchungen naturwissenschaftlich als die 1979 gestohlenen Werke identifiziert werden.

Erläuterung der in Gotha entwendeten Gemälde unter Einbeziehung der Ergebnisse der kunsthistorischen GutachtenHerunterladen
Das Rathgen-Forschungslaborder Staatliche Museen zu Berlin und beispielhafte Ergebnisse der naturwissenschaftlichen Untersuchungen der in Gotha entwendeten GemäldeHerunterladen
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